Kommentar: Warum wir eine Pause für die Gesellschaft brauchen, aber nicht vom Lockdown. Und warum das Schuljahr wegen Corona wiederholt werden sollte.

 

Weil ich gerade ein paar Monate nicht in der Redaktion bin, schreibe ich hin und wieder hier auf, was mit unter den Nägeln brennt. Hier ein erster Kommentar – zur aktuellen Coronalage:

Reden wir mal Tacheles. Denn alles andere nützt ja nichts mehr. Die dritte Corona-Welle baut sich gerade rasant auf. Und was macht der Club der Ministerpräsident:Innen? Er versemmelt es ein zweites Mal. Schon an Weihnachten wurde verpasst, die Feier- und Ferienzeit für einen zweiwöchigen, echten Lockdown zu nutzen. An Ostern wiederholt sich nun das Debakel. 

Zwar wagen einzelne Länderchefs jetzt wenigstens sanft härtere Maßnahmen, weil die Zahl der Coronaneuinfektionen in den letzten Tagen wieder dramatisch gestiegen ist. Aber allein diese Begründung zeigt das Problem: denn dass die Zahlen genau jetzt genau so dramatisch steigen werden, ist seit Wochen bekannt. Wurde immer und immer wieder von Wissenschaftler:innen verkündet. Dass auf Länderebene dennoch vor allem über Lockerungen geredet wurde, grenzt da schon an Realitätsverweigerung.

Glaubt man den Prognosen von Wissenschaftlern, wird im Vergleich zu den Fallzahlen im Mai und Juni die zweite Welle rund um Weihnachten wie ein sanftes Plätschern wirken, auf das wir sehnsuchtsvoll zurückblicken, trotz damals der mehreren zehntausend Toten binnen weniger Wochen.

 

Also reden wir Tacheles. Und schauen nach vorn. Natürlich führt kein Weg an einem erneuten Lockdown vorbei. Natürlich werden wir zum Beispiel Kitas irgendwann nach Ostern wieder schließen – wenn es auch nur halb so schlimm kommt, wie vom Robert-Koch-Institut prognostiziert. Die Unis, die Läden auch. Daher ist es angesagt, genau jetzt den Ernst der Lage einzugestehen und einen Umgang damit zu finden, der über das übliche Auf-Zu–Auf-Zu-Auf-Zu-Hin-und-Her hinausgeht – in jedem einzelnen Sektor.

Zum Beispiel an den Schulen. Dieses Schuljahr ist verkorkst. Es wird nicht mehr zu retten sein. Zwar werden viele versuchen, weiter so zu zu, als ob der geplanten Lehrstoff adäquat an den Nachwuchs durchgepaukt würde. Zwar werden Lehrer:innen angehalten, im Sommer irgendwie angemessene Noten auf Zeugnisse zu schreiben. Doch es wird eine Farce sein. Und jeder weiß das.

Einige schlagen schon vor, die Sommerferien zu verkürzen – und geben damit vor allem eins zu verstehen: dass sie nichts verstehen. Nicht von Schule, nicht von Jugend, nicht von planbaren Freiräumen, die wichtig sind für die Erholung. Auch vom deshalb gerade im Pandemiechaos. 

Was also tun? Das Schuljahr absagen! Nein, nicht den Unterricht, nicht die Betreuung. Aber den Anspruch an dieses holpernde Provisorium, ein gleichwertiger Ersatz zu sein.

Nehmen wir den Stress raus für alle Beteiligten, der auf der Selbstlüge beruht, dass es trotzdem irgendwie geht. Es geht nicht. Nehmen wir stattdessen die Pandemie als das was sie ist: ein Ausnahmezustand, der ein reguläres Leben vor allem in Institutionen wie Schule, die auf nichts mehr angewiesen sind als reguläre Abläufe, unmöglich macht.

Wagen wir einen Neustart: das Schuljahr beginnt nochmal nach den Sommerferien. Die nächsten Versetzungszeugnisse gibt es erst im Sommer 2022! Bis dahin haben alle genügend Zeit in aller Ruhe den verpassten Stoff nachzuholen. 

Klar, das wird nicht allen passen. Aber Eltern, die tatsächlich meinen, ihre krisenresistenten Kleinen hätten das alles schon drauf, können dann ja eine Klasse überspringen lassen. Und Bildungspolitiker:innen, denen wie allen anderen auch der Mut fehlt, können sich als Kompromiss auf ein halbes Jahr einigen: Die Versetzung wird auf den Winter verlegt. Dafür müsste man vieles neu denken. Ja, aber genau darauf kommt es ja an. Neu denken. Pandemieadäquat.

Was wir dadurch verlieren? Ein Jahr, das sowieso verloren ist. Was wir gewinnen? Eine Jugend, die wieder eine Perspektive hat. Und ein unübersehbares Symbol, das weit über die Schulen hinausreicht, das die Gesellschaft in Zeiten der Corona lehrt: die sture Aufrechterhaltung des Status Quo kann nicht, sie darf nicht das Maß aller Dinge sein.

Schule würde so zu einer Bildungseinrichtung für die ganze Gesellschaft. Vielleicht verstehen dann ja auch andere, dass nur noch eins Sinn ergibt: Pause machen. Abstand halten von dem gewohnten Druck. Es muss nichts auf Teufel komm raus aufrecht erhalten werden, wenn es nicht geht.

 

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