Papa, weißt du …. – Trauerrede für meinen Vater Bernhard Asmuth

Kein Text für eine Zeitung, dennoch einer meiner wichtigesten Texte: Die Trauerrede für meinen Vater Bernhard Asmuth, die ich am 5.9.2023 in der Kirche St. Franziskus in Bochum-Weitmar gehalten habe.

Papa, weißt du

„Papa, weißt du?“, sagt mein Sohn Fridolin oft und erklärt mir dann die Welt aus der Sicht eines Fünfjährigen. Häufig erfahre ich so Dinge, die ich ihm selbst gerade erst erzählt habe. Papa sein ist großartig. Wie sehr, begreift man wohl erst, wenn man selber Kinder hat. Als Kind weiß man wenig davon. Man saugt es nur auf, das Sein des Papas. Und spiegelt es zurück.

Papa, weißt du, wenn ich etwas über dich schreiben oder jetzt hier erzählen will, dann sind drei Themen wichtig: barocke Literatur, die Dramen und die Rhetorik. Das sind die drei wichtigsten Dinge. Woher ich das weiß? Du hast es mir gesagt. Im Krankenhaus, zwei Tage vor deinem Tod. Und ich nehme es als Auftrag. So wie ich darauf achten werde, dass im Herbst die Winterreifen aufgezogen werden müssen. Dass wir den Urlaub auf den Kanaren stornieren. Und dass wir auf Mama aufpassen. Das war dir auch schließlich alles wichtig in den letzten Tagen vor deinem Tod. Aber die drei wichtigsten Dinge über die ich schreiben soll, das waren barocke Literatur, die Dramen und die Rhetorik. Also schauen wir mal hin.

Todesanzeigen in der WAZ.
Todesanzeigen in der WAZ.

Barocke Literatur, das meint „Lohenstein und Tacitus“. Deine Doktorarbeit, in den späten 60ern geschrieben.

Sie wurde von der Universität als jahresbeste der Fakultät für Philologie ausgezeichnet, von Jürgen von Stackelberg 1972 in der Arcadia als „ein Muster komparatistischer Literaturforschung“ begrüßt und gilt Robert Seidel im Jahre 2005 zufolge als „nach wie vor grundlegende Studie“, zumal sie sich nicht auf Lohensteins Tacitus-Aneignung beschränkt, sondern zu seinem Verschwörungsdrama Epicharis auch französische Zwischenquellen einbezieht, die als solche vorher kaum oder gar nicht bekannt waren – heißt es auf Wikipedia.

Worum es geht? Im Groben gesagt, um eine Analyse der Werke von Daniel Caspar Lohenstein, einem Schriftsteller, der die Berichte des römischen Geschichtsschreiber Tacitus aus dem Germanien des 1. Jahrhunderts nach Christus verwendete, um im 17. Jahrhundert darauf einen Roman und mehrere Tragödien aufzubauen.

Papa, weißt du, es lag ja quasi auf der Hand, dass du mit deinem Doppelstudium in Germanistik und Latein genau diese beiden Welten in einer großen Arbeit zusammenbringst.

„Die Tragödien, die nach Zesens Vorschlag von 1640 wie bei Gryphius „Trauerspiele“ heißen“, lese ich gleich auf der zweiten Seite deiner Einleitung. Trauerspiele. An dem Wort bleibe ich hängen und lege das Buch zur Seite.

Und dann die „Einführung in die Dramenanalyse“. Dein wohl wichtigstes Buch. Es ist eins der beiden Bücher zum Thema, „die in zahlreichen unveränderten Nachdrucken verbreitet sind“, sie „behaupten sich in der universitären Lehre bis heute“, schrieb 2014 Peter Langemeyer, Professor für deutsche Literaturwissenschaft an der Hochschule Østfold (Norwegen), auf Literaturkritik.de, bevor er dein Werk mit anderen, neueren zum Thema verglich. Er scheint sie auch für ganz passabel zu halten. Nun ja.

Dramenanalyse.
Das wichtigste Buch.

Dein Verlag hatte den Frevel besessen, eine jüngere Autorin ein Buch mit dem gleichen Titel schreiben zu lassen. Du hattest mir des öfteren erzählt, dass dein Buch sich immer noch etwas besser verkaufe. Dann hattest du ein schelmisches Leuchten in den Augen.

„Die Dramenanalyse hat Generationen von Studierenden im In- und Ausland geprägt und wird sie weiter prägen“, hieß es in der Traueranzeige des Germanistischen Instituts der Ruhr-Universität.

Das hätte Dir gefallen, Papa.

Und auch dies: der Kustos des Instituts schrieb mir nach deinem Tod, dass man dich dort als Menschen in Erinnerung habe, der bei Studierenden und Kolleg:innen beliebt war, obwohl du schon vor 25 Jahren ausgeschieden warst. In einem ersten Impuls, wollte ich dir das dann gleich sagen, aber …

Die Distanz zu Dir

Zugegeben. Ich habe deine wissenschaftlichen Arbeiten damals allenfalls in Auszügen gelesen.

Aber, Papa, weißt du, als Sohn muss man immer ein wenig auf Distanz gehen zu seinem Vater. Als überheblicher junger Mann hab ich dir mal vorgeworfen, was du da machst, dieses ganze verstaubte Germanistentum, das sei doch nicht von gesellschaftlicher Relevanz. So unpolitisch. Und selbstverständlich war es undenkbar, dass ich in die gleiche Richtung gehe und Germanistik studiere.

Dann aber saß ich ein paar Jahre später in einer dieser abgefahrenen Kreuzberger Fabriketagen-WGs und einer der dort Wohnenden staunte, dass ich der Sohn „des großen Asmuth“ sei, der „Dramenanalyse“ geschrieben hat.

Ich wurde dann Journalist und begriff eigentlich erst, wie nah ich dir war, als du wie selbstverständlich meine Zeitung, die taz, abonniertest. Um zu lesen, was ich da schreibe. Du schicktest mir im Gegenzug deine Aufsätze. Über „Anschaulichkeit“. Über „Rhetorik“. Über „Spannung“ und wie sich ihre Bedeutung im 19. Jahrhundert veränderte. Und viele mehr.

Diese Texte waren Teil des dritten, für dich wichtigen Themas. Sie erschienen im „Historischem Wörterbuch der Rhetorik“, initiiert von Walter Jens. Du warst in allen der zwölf Bände dieser Reihe mit Texten vertreten, „als einziger außer den Tübingern“, wie du noch kurz vor deinem Tod stolz erzähltest.

Historisches Wörterbuch der Rhetorik
Historisches Wörterbuch der Rhetorik, die ersten 9 Bände

In einem deiner definitorischen Texte widmest du dich dem Begriff „Angemessenheit“. Die lasse sich „als Variante des biologischen Prinzips der Anpassung begreifen, das heißt der Fähigkeit von Lebewesen, sich zum Zweck des Überlebens wechselnden Anforderungen der Umwelt anzugleichen“, schreibst du da gleich zu Beginn einer zwölfseitigen Analyse. Und kommst dann ganz am Ende der verschlungenen wissenschaftlichen Abhandlung auf den einstigen Bundestagspräsidenten Phillipp Jenniger zu sprechen, dessen Rede im Jahr 1988 zum Gedenken an die Pogromnacht ein Großteil der Öffentlichkeit für unangemessen hielt. Und dessen Rücktritt als angemessen gewertet wurde.

Und plötzlich weiß ich, wie nah wir uns waren, wie nah wir uns sind, beim Betrachten der großen Politik und ihrer Sprache.

Es macht Spaß, tiefer in dein Werk einzusteigen. Aber in deiner Dramenanalyse schriebst du auch über „Konventionen der Redelänge“. Dort heißt es, dass es man bereits seit dem 18. Jahrhundert den Extremismus übermäßig langer wie kurzer Äußerungen meidet.

Also kürze ich hier den wissenschaftlichen Teil mal ab.

Die Familie und dreimal drei Dinge

Denn Papa, weißt du, es gibt ja noch viel mehr als die drei Dinge der Germanistik, die wichtig waren in deinem Leben. Mindestens drei mal drei.

Da sind zunächst Mal deine drei Geschwister. Doris. Jürgen. Christel.

Doris, die dir am letzten Sonntag am Telefon noch versicherte, wie gut euer Verhältnis war. Auch weil du ihr, der Jüngeren, mehr zutrautest. Sie erzählte von dem Baumstamm, der über ein Bachbett lag, über den du dich nicht gehen wolltest und an dem du dann deine jüngere Schwester vorgeschickt hast.

Jürgen, der am Morgen deines Todes noch an deinem Bett saß. Und sagte, dass er dir so viel zu verdanken habe.

Christel, die dir noch den Rollator geschickt hat, um dir wieder auf die Beine zu helfen. Er stand dann als Paket vor der Tür, als …

Nicht nur, weil du, Berni, ihr aller großer Bruder warst, sondern weil du immer auch ein Helfer warst, ein Lehrer schon, der ihnen unter die Arme gegriffen hat.

Und da ist „Drei Liter“. Immer wieder hast mit Stolz erzählt, dass du das damals als nicht mal 10-Jähriger in der Schule gerufen, statt wie es üblich war, dem Führer der Nazzis – wie du sie immer nanntest – per Gruß zu huldigen.

Oder die Geschichte mit dem Ring. Dein Vater, der andere Bernhard Asmuth, hatte ihn bekommen, silbern mit seinen Inititalien, angefertig von einem russischen Kriegsgefangenen, mit dem er freundschaftlich Geschäfte betrieb. Mehl gegen Gemüse. Zu einer Zeit, in der das alles andere als angesagt war.

Papa als junger Mann.
Papa als junger Mann. Fundstücke in einem Notizbuch

Mir waren diese Erzählungen wichtig, weil sie zeigen, dass du ein Mensch mit Haltungen warst. Niemand, der in vorderster Front sich aufreiben würde. Aber eben doch. Dazu gehört auch, dass du bei Rot an der Ampel stehen bliebst, dass du das Auto niemals ins Parkverbot stelltest.

Papa, weißt du, ich habe das lange für eine Marotte gehalten. Aber es war dein Beitrag zum Zusammenhalt einer offenen Gesellschaft. Der Respekt von den anderen. Und es ist gut, dass du ihn über Generationen weitergegeben hast.

Du hättest es nie so genannt, aber für mich war das auch das ganz beiläufige Weitertragen einer antifaschistischen Grundhaltung. Oder anders gesagt: dein Sinn für Gerechtigkeit. Menschlichkeit.

Dein Wunsch, anstelle von Trauerblumen für die SOS-Kinderdörfer zu spenden, ist ein letzter Ausdruck davon.*

Papa, weißt du, sagte mein Sohn Fridolin heute morgen beim Einräumen der Bauklötze in die Kiste. Papa, weißt du, ich mache das genau wie du gestern.

Ich musste weinen.

Fridolin und Papa
Fridolin und sein Opa, Sommer 2023.
Wortwitz mit Ochs

Die „Drei Liter“ zeigen aber auch, dass du schon immer ein Mann mit Humor warst. Mit Wortwitz. Ein Germanist, der gern mit der Sprache spielte.

Papa, weißt du noch, wie wir irgendwann, wahrscheinlich an einem Sonntagmorgen, alle bei euch im Bett lagen? Und Wortpaare sammelten. Hund und Katze, Katz und Maus. Kind und Kegel. Haus und Hof. Feuer und Flamme. Himmel und Hölle. Frank und frei. Nie und immer. Immer und ewig. Uns so weiter und so fort.

Hendiadyoin heißt dies Stilfigur. Man kann es in deinen Büchern nachlesen.

Wir fanden kein Ende und lachten uns schlapp.

Du hast eher gekichert. Aber das bis kurz vor deinem Tod.

Und kichern lässt uns auch danach. In deinem Arbeitszimmer haben wie ein paar Notizbücher gefunden. In einem stehen Gedichte von Dir. Eins ist nur ein Vierzeiler, einer der für deinen Umgang mit Sprache steht.

Ein Ochs stank gen Westen
von wo der Wind blies
Kurz drauf fand der Ochse
Den Wind mies

Das Gedicht.
Das Gedicht.
Die perfekte Symbiose

Das hast du ungefähr geschrieben in dem Jahr mit euren drei wilden Tage im Oktober: Mamas Namenstag. Mamas Geburtstag. Und dazwischen dieser 22. Oktober 1961, an den dem du eine junge Frau, deren Aufmerksamkeit du gewinnen wolltest, beim Autoscooterfahren auf dem Send in Münster so sehr gerammt hast, dass sie sich ihre Hand verstauchte. Was warst du nur für ein wilder Draufgänger? Einer jedenfalls, der der jungen Frau offenbar dann doch gefallen hatte. Immerhin habt ihr anschließend mehr als 60 Jahre miteinander das Leben geteilt. Händchenhaltend bis zum diesem Sommer, gerade eben, da in Frankreich am Meer.

Papa, weißt du, Ihr habt euch, das wird wohl euer Geheimnis sein, viel Raum gelassen. Und euch dann immer wieder wunderbar ergänzt, beim Weg durchs Leben.

Hand in Hand.
Hand in Hand, im Juli 2023.

Da gibt es diese Szene im Hotel in Frankreich. Vielleicht war es nur einmal, vielleicht gab es dieses Schauspiel immer wieder, damals vor rund 35 oder 40 Jahren. Du hast dir – mit wissenschaftlicher Akribie, die grammatikalisch perfekte Einstiegsfrage für den Dialog mit dem Mann an der Rezeption zurechtgelegt. Und als du dann von seiner  Antwort nichts verstanden hast, hat Mama das einfach übersetzt für Dich. Dann hast Du dir wieder eine perfekten Satz zurecht gelegt und geredet. Mama hat wieder die Antwort verstanden. Du hast … usw. – la symbiose parfaite.

Der Mittagspapa

Und dann: Drei Kinder. Dominik. Karolin. Ich.

Du warst ein moderner Vater. Zumindest für deine Zeit, immerhin. Denn Du warst viel zuhause. Hast uns Mittagessen gekocht. Dass das meist von Mama vorbereitet und von dir nur aufgewärmt war? Egal.

Dabei lag damals schon auf der Hand, was ich erst später, viel später verstanden habe: deine drei kulinarischen Leidenschaften – sie liegen in der einfachen Küche: Dosenfisch. Deftige Suppen, gern aus dem Eis. Und Joghurt natürlich. Ein ganzer Kühlschrank voller Joghurt. Vor allem letzteres ist eine Leidenschaft, die über Generationen weitergeben wird. Dein jüngster Enkel Kasimir hält sie schon in Ehren.

Du hast uns immer wieder aus der Patsche geholfen.

Als ich mit dem Schlitten vor den Baum gedonnert bin, hast du mich durch die Stadt ins Krankenhaus gebraust, wie nur Väter das tun. Papa, weißt du, ich weiß das.

Als ich in deinem geliebten Latein plötzlich eine Fünf im Zeugnis hatte, warst du genau zum richtigen Zeitpunkt Elternsprecher, der nicht nur mich, sondern die ganze Klasse vor diesem Haudegen von Lateinlehrer gerettet hat.

Domi und Karo werden ähnliche Geschichten erzählen können.

Auch von deinem Sprachwitz. Karolin hatte ein Poesiealbum. Auch du, Fachmann für „Aspekte der Lyrik“ hast reingeschrieben: „Tochter kann man nicht reimen, so heißt es. Der Vater kann‘s: Seine Tochter, die mocht‘ er!“

Papa, weißt du, es gibt eine Reihe Fotos von uns drei Kindern. Alle zehn Jahre vielleicht ist eins entstanden. Das bisher letzte haben wir spontan gemacht bei einem Spaziergang vor zwei Jahren auf einer Bank im Weitmarer Holz, wo du gerne warst, in der Nähe der Wildschweine. Du hast dich dann ohne große Worte hinter uns gestellt, wolltest mit auf dem Bild sein. Ich habe sehr gut verstanden, warum.

Ein Halbton zu tief in deinem Ohr

Und du hast uns deine Werte weitergegeben, auch deine musikalischen:

„Fis“, höre ich dich noch rufen. Du vorne im Wohnzimmer bei deinen Zeitungen. Ich hinten mit der Geige, den Finger mal wieder einen Halbton zu tief auf der Saite. Frank, mein Freund aus Jugendtagen, schrieb mir nach deinem Tod, den ersten Satz von dir, den er erinnere: „Gereon, du musst noch Geige üben!“ Ja, du konntest auch hartnäckig sein. Damals fand ich das nervig. Später habe ich Musik gemacht, mit der du nichts anfangen konntest. Laut und scheppernd. Zu der ich ohne deine Hartnäckigkeit aber nie gekommen wäre. Es gab da kurzeitig mal ein Punkband. Ich habe dort gesungen. Gedichte, die man als junger Mann so schreibt. Und ich habe da Geige gespielt.

Vom Theologen zum Kopfarbeiter

Es gibt noch eine wichtige Drei in deinem Leben. Deine – fast – drei Jahre, in denen du Theologie studiert hast. Um Pfarrer zu werden, konntest du als erster aus deiner katholisch geprägten Arbeiterfamilie Abitur machen und studieren. Kurz nach dem Krieg war das alles andere als eine Selbstverständlichkeit.

Und noch weniger selbstverständlich wird gewesen sein, dass du dann nach so einer Art Auslandsemester in München, nach – du hast mir das mal in Andeutungen erzählt – langen Nächten im wilden Schwabing der späten 50er Jahre, dein Studium abgebrochen hast. Nach Münster gegangen bist, um Deutsch und Latein zu studieren, und dann später im allerersten Semester der gerade erst eröffneten Ruhr Universität als Studienassessor mit Gummistiefeln durch den Matsch zu laufen, um Studierende zu unterrichten, später dort sogar Professor zu werden. Ein Aufstieg, der dir gewisse nicht in die Wiege gelegt war.

Du warst damit, das ist mir jetzt erst klar geworden, Teil einer neuen Generation, die diese Stadt „mit einem Pulsschlag aus Stahl“, wie Herbert Grönemeyer bis heute singt, die Bochum neu geprägt hat. Statt Maloche unter Tage war nun auch Kopfarbeit wichtig. Sogar in der Bergwerksstraße, wo du 50 Jahre gewohnt hast.

Wichtiger für mich, für uns, die Familie aber war, dass du deine Lebenserfahrungen immer auch weiter gegeben hast, gelebt hast. Als Mama, als wir Kinder aus dem gröbsten heraus waren, auf Kindergärtnerin umsatteln wollte, hast du gesagt: ja, mach mal. Als ich nach – fast drei Jahren – Studium der Wirtschaftswissenschaften, nach langen Nächten bei Freunden im wilden Berlin der späten 80 Jahre, mein Studium abbrach, um genau dort nochmal neu anzufangen, hast du auch zu mir gesagt: ja, mach mal. Und selbstverständlich weiter für mich gezahlt. Du glaubst gar nicht, wie dankbar ich dir dafür bin.

Der Zeitungsleser, allwissend

Und du warst immer wissbegierig. Hast täglich – natürlich drei – Zeitungen gelesen. Die WAZ, die taz und dann nach einem deiner Rituale, die beim Spaziergang am Kiosk gekaufte SZ. Dazu der Spiegel. Die Zeit. Als ich dein Abo dort gekündigt habe, wurde mir gesagt, dass die sie seit 1970 ununterbrochen gelesen hast – seit 53 Jahren. Du bist auch ein herber Verlust für meine Branche. Leser wie du sind selten geworden.

Aber so warst Du immer auf dem neusten Stand, selbst was die Medizin anging – auch im Eigeninteresse. Du wusstest, dass es am Uniklinikum in Essen diese Radioligandentherapie gab, bei der Krebszellen mit radioaktiven Teilchen gestoppt werden. Klingt irgendwie irre. Und das war noch im Versuchsstadium – nur für Patienten, die als austherapiert gelten. Aber du wolltest dabei sein. Du hast es bekommen. Und so dir und uns noch ein paar schöne Jahre geschenkt.

Radioligandentherapie
Seite 3 über die Radioligandentherapie, erschienen in der WAZ am Tag nach deinem Tod.

Am Ende warst du der älteste aller Asmuths. Älter noch als deine Mutter Hertha geworden war. Kleine Schritte ins Neuland mal wieder. Auch wenn die Schritte, auch wenn du langsam langamer wurdest.

Intensität und Gelassenheit

Zum Schluss blieben uns diese letzten Tage im August. Tage der Intensität. Des Hoffens. Des nicht mehr Hoffens. Und des Staunens über deine Gelassenheit. Deine Zufriedenheit. In der Nacht als du plötzlich aus deinem ruhigen Zimmer auf die piepsige Überwachungsstation des Bergmannsheils in Bochum verlegt wurdest, hat Mama dich gefragt, ob du Angst hast. Du lagst da, in deinem Bett, und sagest: „Nein. Ich bin doch glücklich“.

Nicht nur, aber auch weil du alles geregelt hattest. Vorbereitet warst. Verantwortungsvoll wie immer. Und was noch zu klären war, was wichtig für dich war, das hast du uns gesagt: „Gereon, du kannst dann ja meinen Wikipedia-Eintrag ändern.“ Ja, klar Papa, hab ich gemacht. „Vergesst nicht im Herbst die Winterreifen aufzuziehen“. Nein Papa, das werden wir nicht. „Kümmert euch um Mama.“ Natürlich Papa.

Wir hatten das Glück, viel bei dir sein zu können in diesem Sommer. Erst der Urlaub in Monta, in Frankreich am Strand. 44 deiner 88 Sommer hast du da verbracht. Auch wenn du in diesem Jahr vor allem in deinem Stuhl auf der schattigen Terrasse saßt. Wie immer vertieft in deine Zeitungen. Aber die pralle Mittagssonne hattest du – mit mahnenden Unterton – schon immer gemieden.

Dann die Tage im Krankenhaus an deinem Bett. Der Morgen, als uns, als dir klar war, was da kommen würde. Als es nur noch um ein schönes Ende ging. Um die Ruhe, gehen zu können.

Die letzte Nacht waren wir alle bei dir im schönsten Zimmer der Klinik, oben im 6. Stock mit den großen Fenstern dem Himmel sehr nah. Mama, Dominik, Karolin, ich. Wir kraulten dir durch dein immer noch volles, schneeweißes Haar. Wir kneteten deine Füße, kratzten deinen Rücken. Du schnurrtest wie eine Katze.

Blick über Bochum.
Der Himmel über Bochum. Ausblick aus deinem Sterbezimmer.

Mama an Dich gekuschelt. Karolin im zweiten Bett. Domi hielt deine Hand und hat irgendwann die Schuhe ausgezogen und die Füße neben dich gelegt. Da war klar, wir bleiben alle. Ohne Reden.

Am nächsten Mittag bist du eingeschlafen.

Wir saßen danach noch Stunden an deinem Sterbebett, du in unserer Mitte. Ganz selbstverständlich. Wenn wir dich ins Gespräch einbezogen, hast du nicht geantwortet. Aber das war ja nichts ungewöhnliches. Deine Hörgeräte hast du seit Jahren nicht gemocht.

Es fiel uns schwer zu gehen.

Papa, weißt du, dein Tod hat uns unendlich traurig gemacht. Vielen kann ein Ort wie diese Kirche Trost spenden. Gerade wenn es um einen Menschen geht, der an Heiligabend geboren wurde und an Mariä Himmelfahrt gestorben ist, liegt das ja mehr als nah. Und wir sind dankbar, hier Abschied nehmen zu dürfen.

St. Franziskus
Trauerfeier in der St.Franziskus-Kirche in Bochum-Weitmar.

Doch mir bleibt der Tod an sich schlichtweg unakzeptabel. Immerhin, du hast uns einen Weg gezeigt, wie man sterben kann.

Papa, weißt du …

Papa, weißt du, sagte mein Sohn Fridolin kürzlich zu mir. Wenn jemand gestorben ist, dann ist der tot. Und dann steigt er in ein Flugzeug und wenn er dann ganz oben ist, in den Wolken, dann macht er die Tür auf und steigt aus. Und dann verliert er seine Haut. Und dann ist das so.

Papa, danke, dass du da warst.

Papa, 2012.
Papa, an seinem Geburtstag 2012.

 

*Im Sinne meines Vaters bitten wir um Spenden an
SOS-Kinderdörfer weltweit
Donner & Reuschel Bank
IBAN: DE22 2003 0300 0122 5777 00
Stichwort: Trauerspende Bernhard Asmuth

Den Nachruf des Germanistischen Instituts der Ruhr Universität Bochum auf meinen Vater kann man hier nachlesen.

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